Berichte
Hören Sie den Bericht von „dem Großen Unglück“ vor Harboøre im Jahre 1893
Am Abend des 20. Novembers 1893 war das Wetter schön und das Meer ungewöhnlich ruhig. Die Fischer auf Harboøre machten sich bereit, um mit ihren Booten auszulaufen. Es galt sich zu beeilen, um die besten Fischgründe zu erreichen. Mit an Bord hatte ein jeder einen Satz von 2000 Haken, Köder sowie Proviant für die Nacht. Sie trugen Wollpullover, Ölzeug und schwere Seestiefel, um sich vor der Kälte zu schützen. Einige, aber längst nicht alle, hatten Rettungsringe dabei.
Mitten in der Nacht begann sich das Meer aufzubäumen und die Fischer merkten, dass sich ein heftiger Sturm aus Nordwesten ankündigte. Die Wellen wurden so hoch, dass sie manchmal das Leuchtfeuer des Leuchtturms Bovbjerg verdeckten. Die Fischer in ihren kleinen offenen Booten waren plötzlich in akuter Gefahr. Sollten sie bis zum Morgengrauen auf See bleiben oder sollten sie ihre Fanggeräte aufgeben und in Dunkelheit die Fahrt in Richtung Land durch die gefährliche Brandung riskieren?
Fischer Chr. Madsen sagte der Tageszeitung „Lemvig Dagblad“ zwei Tage nach dem Unglück:
Um drei Uhr bekamen wir Angst vor dem Wetter, überließen die Haken den Wellen als Beute und machten uns in Richtung Land auf. Auf der inneren Sandbank brach die See über das Boot, sodass es mit Wasser gefüllt wurde. Ich, der ich meine Stiefel ausgezogen und den Rettungsring übergezogen hatte, sprang aus dem Boot. Als ich im Wasser war, zögerte ich und wollte wieder zurück ins Boot. In dem Moment sah ich, dass es kenterte. Ich konnte hören, dass einige meiner Gefährten auf das Boot gelangt waren und um Hilfe riefen. Aber ich konnte sie in der Dunkelheit nicht sehen. Ich trieb gut 1000 Ellen (500 Meter) Richtung Süden, und hier wurde ich an die Küste geworfen, nachdem ich 2 Stunden mit den Wellen gekämpft hatte. Ich habe 4 Mal Wasser geschluckt und war bewusstlos , als ich an Land geworfen wurde. Ich kam erst wieder zu mir, als ich einem Mann sagen hörte: Wer ist den das, der hier liegt? Meine Gefährten im Boot ertranken alle, mit Ausnahme des Steuermanns Jens Maae.
Jens Maae führte das Boot Lykkens Prøve, das in der Brandung auf dem Weg zum Land kenterte und nur Christian Madsen und er konnten sich retten. Jens Maae ergraute angeblich in der Nacht des Unglücks, als er sah, wie seine vier Begleiter ertranken.
Der Korkgürtel, der Jens Maaes das Leben rettete, wurde viele Jahre nach dem Unglück dem Lemvig Museum geschenkt.
Mitglieder der Bootsgilde „Anders Røns Bådelav“ warteten auf dem Meer auf den Morgen. Nachdem der Fang an Bord gezogen war, entschieden sie sich, an Land zu fahren. Jens Peter Jensen, der mit im Boot saß, erzählte später über die Landung:
„Wir haben Rettungsringe angezogen und Holzschuhe und einiges an Kleidung ausgezogen. Es gab nicht viel Hoffnung. Jeder von uns hatte wohl den Gedanken: „Heute klappt es wohl nicht“. Der Bootsführer kniete einen Moment zum Gebet nieder, nahm wieder das Ruder und sagte: „Also im Namen Gottes, wir machen weiter. Es ging gut bist fast an Land. Da wurde das Boot von der Brandung getroffen, sodass das Heck vollständig unter Wasser sank. Der Bootsführer saß bis zu den Achseln im Wasser. Aber das Segel zog das Boot ans Ufer, und die Leute vom zweiten Boot halfen uns an Land. Als wir dann über die Sandbank sahen, verstanden wir, welch Gotteswunder es war, dass ein kleines offenes Boot so glimpflich durch die Brandung fahren konnte.“
Das Boot Ricoboth von Langerhuse kenterte auf der äußeren Sandbank auf dem Weg zum Ufer. Eines der Besatzungsmitglieder rettete sich auf dem Kiel des Bootes an Land. Der Bootsführer Poul Hav und der Fischer Peder Larsen versuchten sich an Land zu retten, indem sie auf zwei Rudern des Bootes trieben. Nach einer halben Stunde Kampf gegen die Wellen spürten sie endlich Boden unter den Füßen. Aber Poul Hav hatte keine Kraft mehr übrig und sagte zu seinem Kumpel P. Larsen: „Ich kann nicht mehr, aber wenn du Land erreichst, grüße meine Frau und meine alte Mutter und sage, dass ich wahrscheinlich nach Hause zu Jesus gegangen bin.“ Peder Larsen erreichte das Ufer, Poul Hav jedoch ertrank im Meer.
Die Bewohner von Harboøre eilten zum Meer als sie merkten, dass Gefahr drohte. Es war schnell klar, dass viele Fischer ertrunken und noch mehr in Lebensgefahr waren. Auf dem Bild hat ein einheimischer Maler versucht, die Ereignisse des schrecklichen Morgens wiederzugeben: Am Strand liegen die Leichen dicht nebeneinander. Drei Männer tragen einen Ertrunkenen fort, während eine Frau und ein Kind sich zum Strand begeben, um zu sehen, ob Ehemann und Vater unter den Opfern sind.
Einige der Frauen gingen in die Dünen hinauf, um für die Fischer zu beten, die noch auf See waren. Viele dachten an die Versammlung im Missionshaus am Abend zuvor, wo die Anwesenden den Herrgott darum baten, „den Baum ein weiteres Mal zu schütteln“, um noch mehr von den Ungläubigen zu erretten. War es nicht das, was jetzt passiert war? Vom Morgengrauen an ertranken beim Anlanden keine Fischer mehr. Das deutete man als Zeichen dafür, dass Gott das Gebet der Frauen sowie die Bitte um Errettung im Missionshaus erhört hatte.
Bei der Beerdigung am 27. November nahmen mehrere Tausend Menschen teil. Die Geschichte über das Unglück hatte sich über das ganze Land verbreitet und Gesandte aus Parlament und staatlichen Einrichtungen sowie eine Reihe von Journalisten, unter anderem von Kopenhagener Zeitungen, waren erschienen. Auf dem Friedhof von Harboøre hatte man ein gemeinsames Grab für die Ertrunkenen ausgehoben und daneben ein Podium errichtet, auf dem Redner und Persönlichkeiten stehen sollten. Es waren aber noch nicht alle Leichen der 26 verunglückten Fischer an Land getrieben, sodass ein Teil erst später beerdigt werden konnte. Das Bild zeigt die Inschrift auf dem großen Gedenkstein, den man auf dem Grab errichtete.
Zur Beerdigung hatte man den ehemaligen Pastor geladen, den beliebten Pfarrer Moe, der zu den treibenden Kräften der Erweckungsbewegung der Inneren Mission in Harboøre gehörte. Pastor Moes Grabrede enthielt wenig Trost für die Hinterbliebenen – dafür umso mehr Verdammung der Ertrunkenen: Moe sah das Unglück als einen Aufruf an die Überlebenden, sich einem heiligen Leben zu widmen. Die Einheimischen waren Moes Reden gewöhnt, aber die Gäste aus der Ferne waren bestürzt. In den folgenden Tagen konnte man in der Presse über die Beerdigung in Harboøre und die „schwarze Mission“ lesen, die dort angeblich herrschte.
In dieser Nacht ertranken 48 Menschen an der gesamten Westküste, darunter 26 aus der Gemeinde Harboøre, die 20 Witwen und 74 vaterlose Kinder hinterließen. Harboøre wurde in der Folge „Land der Witwen“ genannt. Von verschiedenen Seiten wurde nach dem Unglück Geld für die Hinterbliebenen gesammelt. Dies ermöglichte den Witwen die Beerdigung zu bezahlen. Sie erhielten auch eine lebenslange Rente, sodass sie sich und ihre Kinder versorgen konnten. Das Foto zeigt Birthe Kirstine Tøt, Witwe von Laust Tøt, der bei dem Unglück 1893 ums Leben kam. Das Paar hatte 10 Kinder, von denen 8 auf dem Foto von 1930 zu sehen sind.
Auch den Kunstmaler Niels Bjerre berührte das Unglück. Er lieh sich Fotos der Hinterbliebenen und lieferte als Gegenleistung eine große Kohlezeichnung in einem Glasrahmen mit dem Porträt des Ertrunkenen. Oft besaßen die Familien nur ein Jugendfoto des Verstorbenen, sodass viele der Fischer auf den Bildern etwas jünger aussehen, als sie zum Zeitpunkt des Unglücks tatsächlich waren. In einigen Fällen kaschierte Niels Bjerre das Alter, indem er dem Porträtierten einen Vollbart verpasste. Die Zeichnung zeigt Niels Nielsen Falkesgaard, der 33 Jahre alt war, als er in der 1893 ertrank.
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